Dr. Ing. MAX-ALBERT BREDIG

BERLIN-CHARLOTTENBERG 4, DEN 22.10.36
WIELANDSTR. 131
C2 CHARLOTTENBERG

Lieber Vater!

Endlich finde ich heute einmal Musse, um Dir wieder zu schreiben. Ich hoffe aber, dass Du genügend von Marianne auf dem Laufenden gehalten worden bist. Ereignet hat sich ja nichts wesentliches. Ich danke Dir vielmals für Deinen letzten Brief vom 15. ds, und habe Dir, glaube ich auch noch für den vom 3.ds und vom 27.9., welche letzterer sich mit meinem gleichen Datums, dem verlorenen, gekreuzt hatte. Hoffentlich geht es Dir inzwischen wirklich besser und siehst Du auch schon wieder besser aus, als auf den im übrigen recht hübschen Photos von Marianne. Diese hat es, so hoffe ich, mit ihrer Wohnung gut getroffen. Sie dürfte sich nur nicht zu sehr abarbeiten! – Das letztere tue ich zur Zeit allerdings auch, in dem sehr heftigen Wunsch, die grossen Schwierigkeiten der Aufklärung unserer Carbid-Systeme möglichst mit diesem Anlauf zu überwinden. Aber nachdem einiges klar geworden ist, beginnen jetzt bereits wieder neue Unklarheiten, die die Situation eher noch verwirren als verbessern: So hat es sich jetzt erwiesen, dass die an sich sichergestellte neue Umwandlung der „γ-Phase“, in die bisher ausschliesslich als Stickstoffhaltige Phase angesehene „β-Phase“ ohne Aufnahme von Luftstickstoff oder sonstigem N erfolgt (die ersten Dir mitgeteilten Ergebnisse waren ja nur sehr „vorläufige“!), sondern auch bei weniger als 0.1% N beim Reiben eintritt, sodass man diese Umwandlung als eine zwischen 2 Modifikationen ein und derselben Substanz, d.h. von ein und derselben chemischen Zusammensetzung, vermutlich: CaC2, ansehen wird müssen! Natürlich bliebt unsere frühere Meinung, dass die β-Phase immer bei Gegenwart von Cyanamid-N entstehen muss, davon unberührt, nach dem neuesten Befund kann sie aber unter bestimmten Bedingungen offenbar aber auch ohne diesen auftreten! Zur Zeit gibt es ca 8-10 verschiedene Zustandsdiagramme, die ich entworfen habe, die mit den bisherigen Experimentellen Ergebnissen nicht im Widerspruch zu sein scheinen, und zwischen denen es jetzt gälte durch weitere Experimente zu entscheiden! Ich bin ziemlich pessimistisch ob uns das gelingen wird.

Meine Gallenbeschwerde sind subjektiv wohl schon etwas besser geworden aber mein Gewicht lässt noch zu wünschen übrig. Der Arzt gefällt mir aber sehr gut. Die Injektionen sind beendet und jetzt schlock statt dessen „Aktivanand“, d.i. Hepartrat, Glykokoll, Vitamin C u. dergl., sowie „Curcumen“ und „Festal.“ – Wegen der tatsächlichen Ebbe in meiner Kasse, die ich ja durch eine Gehaltsaufbesserung hoffentlich bald beheben kann, wäre ich Dir dankbar, wenn Du mir auf Postscheckkonto Berlin 141628 RM. 200. – als Vorschuss, nicht Zuschuss, auf die noch zu erwartenden Zinsen des laufenden Jahres überweisen könntest. Die Englandreise, deren Entschädigung durch die Firma H.H.F in seiner Interessenlosigkeit endgültig wohl verbummelt hat, die Ärzte Münzesheimer, Peschkowsky und Rosenberg und der Schneider haben wirklich ein grossen Loch in meinem Geldbeutel entstehen lassen. Daneben habe ich doch aber jetzt monatlich über 30.-M zu sparen, bei der Allianz-versicherung!

Wenn ich meine Laborarbeitswut bezähmt haben werde, werde ich an Freudenberg und Berl schreiben. Sonst gibts nichts weiter zu berichten. Sei recht herzlich gegrüsst von

Deinem Max

Dr. MAX-ALBERT BREDIG, Engineer

BERLIN-CHARLOTTENBERG 4, 22 October 1936
WIELANDSTR. 131
C2 CHARLOTTENBERG

Dear Father,

Today, I finally found some time to write to you again. I hope Marianne has kept you up to date with everything. Nothing important has happened. Many thanks for your last letter from October 15th, and for your letters from October 3rd and October 27th. I believe the latter was sent at the same time as my letter, but was unfortunately lost. Hopefully you are doing better. You look better on Marianne’s recent pictures, which are very nice. I hope she likes her apartment. She just shouldn't work too hard! However, I am doing the same at the moment. As soon as possible, I endeavor to overcome the challenges associated with our carbide systems. However, after some things have been clarified, new ambiguities are already arising again that will confuse the situation rather than improve it. It is now evident that the new conversion of the “γ-phase”, which was previously regarded as a nitrogen-containing “β-phase”, occurs without the absorption of atmospheric nitrogen or other type of nitrogen (the first results I shared with you were only provisional). Even when less 0.1% nitrogen is added, this conversion will have to be regarded as two modifications of the same substance, i.e. of one and the same chemical composition, presumably CaC2! Of course, our earlier opinion that the β-phase must always arise in the presence of cyanamide-nitrogen remains unaffected by this. According to the latest findings, however, it can evidently also occur without it under certain conditions! There are presently about 8-10 various diagrams that I have designed. They do not seem to contradict the previous experimental results and may be necessary to conduct further experiments! I'm pretty pessimistic about whether this will work or not.

My gallbladder issue has improved, but I’m still underweight. I like the doctor. I am no longer receiving injections. Instead, I am taking “Aktivanad” (a juice containing liver, glycol, and Vitamin C) along with curcumin and “Festal.” On account of the decrease in my savings, which I will hopefully ameliorate soon with a salary increase, I would be grateful if you could transfer 200 Reichsmark to my checking account. Please send it as an advance, and not an allowance, to which the expected interest from this year could be transferred. The trip to England, which the company did not reimburse due to H.H.F.’s laziness, the cost of visiting Dr. Münzesheimer, Dr. Peschkowsky, and Dr. Rosenberg, and the tailor really left a big hole in my wallet. In addition, I now have to save over 30 Reichsmark a month for my insurance with Allianz. When

I have more free time away from the laboratory, I will write to Freudenberg and Berl. Otherwise there is nothing more to report.

Warm regards,
Max